SOS-arsenic.net

Artikel und Berichte


Das schleichende Gift aus dem Brunnen

Quelle: Berliner Zeitung, 10.11.1999, von André Anwar und Daniel Becker

Die Vergiftung des Trinkwassers mit Arsen ist vermutlich ein Effekt "erfolgreicher" Entwicklungshilfe in Bangladesch

Jeden Tag, wenn die Frauen von Faridpur Wasser aus dem Dorfbrunnen in ihre Hütten schleppen, bringen sie ein paar Mikrogramm Arsen mit nach Hause. Über die Nahrung und das Trinkwasser gelangt das giftige Metall in ihre Körper - und in die von Millionen anderer Menschen in Bangladesch.

Große Teile des Grundwassers sind dort ebenso wie im indischen Bundesstaat West-Bengalen durch das geruchs- und geschmacksneutrale Arsen verseucht. Berichte darüber machten im vergangenen Jahr auch in Deutschland Schlagzeilen. Bislang ist jedoch kaum etwas geschehen, um die Katastrophe einzudämmen.

Ein Sprecher des Krankenhauses der bengalischen Hauptstadt Dhaka bezeichnet die Krise als die "größte bekannte Massenvergiftung der heutigen Welt". Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind etwa siebzig Millionen Menschen allein in Bangladesch gefährdet. Bis alle vergifteten Quellen in den fast siebzigtausend Dörfern des Landes entdeckt und stillgelegt sind, werden noch Jahre vergehen, sofern das jetzige Tempo der Untersuchungen beibehalten wird.

Nach wie vor ist unklar, woher das Gift kommt. Möglicherweise handelt es sich um natürliches Arsen, das durch noch ungeklärte chemische und mikrobiologische Prozesse in die Grundwasser-Reservoirs gelangt. Darauf haben jüngst indische Experten im Wissenschaftsmagazin "Nature" hingewiesen. Möglicherweise spielt der Einsatz von Düngemitteln dabei eine Rolle: Wenn die Phosphate aus den Düngemitteln und das Arsen im Boden miteinander reagieren, wird das Metall aus der Erde herausgelöst und kann dann in das Grundwasser gelangen, so die Hypothese der Wissenschaftler. Durch das Absinken des Grundwasserspiegels infolge der massiven Nutzung des Grundwassers für die Trinkwasserversorgung und für die Bewässerung in den letzten dreißig Jahren wurde dieser Prozess wahrscheinlich beschleunigt.

Einige der aus Industriestaaten importierten Düngemittel enthalten Arsen auch als Bestandteil. Derartige Produkte - nach deutschen Standards müssten sie als Giftmüll entsorgt werden - verwenden die Bauern in Bangladesch und ähnlich armen Ländern ohne besondere Überwachung. Kontrollmessungen zu möglichen Umweltschädigungen fanden nicht statt.

Dabei wären sie dringend notwendig gewesen. Bereits 1988 entdeckte der Chemiker Dipankar Chakraborty von der Universität in Kalkutta das Gift im Wasser. Seine Warnungen an die bengalische Regierung und die Entwicklungshilfe-Organisationen wurden jedoch ignoriert, bis dann 1996 Arsen als Ursache für eine Häufung von Hautkrankheiten in Bangladesch nachgewiesen wurde.

Die Vergiftung ist schleichend, wie Sawar Ali von der bengalischen Ärztekammer in der Hauptstadt Dhaka berichtet. Die "Arsen-Krankheit" beginnt mit schwarzen und weißen Flecken auf der Haut. Viele Patienten klagen über Atemnot und Störungen des Nerven- und Verdauungssystems. Hände und Füße werden rissig, und es bilden sich blumenkohlartige Geschwüre. Im schlimmsten Fall weiten sich die Wucherungen auf die inneren Organe aus.

"Viele Menschen in Faridpur und in den Nachbarorten sind krank", erzählt Aziz Faruk, der Dorfälteste aus Faridpur. Es gab im Dorf schon die ersten Todesfälle.

Früher haben er und seine Landsleute sich auf Trinkwasser aus den Flüssen verlassen. Bis in die siebziger Jahre versorgten sich die Menschen noch an den vielen Flüssen, Teichen und Kanälen Bangladeschs mit Trinkwasser. Durch Übernutzung und neue Fabriken, die ihr Abwasser ungeklärt in die Flüsse entsorgen, wurde das heute mit Bakterien und Umweltgiften durchsetzte Oberflächenwasser zur Krankheitsquelle Nummer eins.

Dann kam Hilfe aus dem Ausland: das Kinderhilfswerk Unicef, die Weltbank und andere Hilfsorganisationen bohrten unzählige Brunnen - meist einfache, handbetriebene Röhrenkonstruktionen - und überzeugten die Landbevölkerung mit einer gewaltigen Aufklärungskampagne von ihrem Nutzen. Viele Menschen wurden so vor Cholera und anderen Darmerkrankungen bewahrt, und die Kindersterblichkeit sank; das Projekt galt als Schulbeispiel erfolgreicher Entwicklungshilfe. Heute haben mehr als neunzig Prozent der Bevölkerung Zugang zu sauberem Grundwasser - zumindest hielt man es bis vor wenigen Jahren für sauber.

Jetzt weiß man es besser. Mittlerweile ist auch klar, wie es zu der Arsen-Katastrophe kommen konnte: Man hatte schlichtweg vergessen, Probemessungen in neu errichteten Brunnen vorzunehmen, um die Wasserqualität zu überprüfen. Die versäumten Tests müssen nun nachgeholt werden.

Anfang des Jahres haben das Entwicklungshilfeprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und die Weltbank die Ergebnisse einer Testreihe an 50 000 Brunnen vorgelegt. Bei etwa vierzig Prozent der Proben wurde der als noch tolerabel angesehene Grenzwert um ein Vielfaches überschritten.

Die Entschuldigungen einiger beschämter Entwicklungshelfer werden im Land zwar registriert, das Vertrauen in ihre Fähigkeiten ist aber ebenso zerrüttet wie das in die eigene Regierung. Der Oberste Gerichtshof in Bangladesch hat im August einen einzigartigen Fall zur Verhandlung angenommen: Der Parlamentsabgeordnete Rabeya Bhuyian beschuldigt die Weltbank, die Unicef, die Weltgesundheitsorganisation WHO und zwei Ministerien des Landes, fahrlässig die Arsen-Krise ausgelöst zu haben.

Um Abhilfe zu schaffen, bereitet die Weltbank derzeit ein Projekt zur Brunnenreinigung vor. Doch zunächst werden davon nur sehr wenige Betroffene profitieren. Die Aussichten für diejenigen, die bereits erkrankt sind, sind ebenfalls düster: Es gibt wohl kaum ein Land auf der Erde, das schlechter auf den Umgang mit einer flächendeckenden Vergiftung des Trinkwassers vorbereitet ist. Schon die Behandlungskosten der zu erwartenden Giftopfer werden die ökonomische Leistungsfähigkeit des Landes völlig überfordern. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Bangladesch beträgt 270 Dollar im Jahr. Kaum jemand kann sich Wasser kaufen.

Aziz Faruk aus Faridpur erzählt vom Besuch eines Wasserhändlers: "Der Mann sagte uns, er habe sauberes Trinkwasser. Ich erwiderte, dass wir das nicht bezahlen könnten, und er ging weiter. Bis heute habe ich ihn nicht wieder gesehen." Einige Tage davor hatten Regierungsbeamte sein Dorf besucht und den Brunnen mit roter Farbe markiert - dem inzwischen gängigen Zeichen für vergiftetes Wasser. Mehr konnten die Beamten nicht tun. "Wir werden das Wasser weiter trinken", sagt Faruk. "Was sollen wir sonst tun?"

Nature, Bd. 401, S. 545

Top of page
Inhalt
Home